ENTWICKLUNGSPERSPEKTIVE

2007

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Entwicklungsperspektiven Quartier «Pfingstweidstrasse», Zürich-West

Bericht 31. Januar 2007


Vorwort

Wer vertritt diejenigen, die noch nicht da sind ? Das ist eine der noch nie zureichend beantworteten Fragen der Stadt- und Siedlungsentwicklung.

Antwortversuche gab es in den USA in den siebziger und achtziger Jahren mit «AnwaltsplanerInnen». Diese waren nicht etwa Abgesandte künftiger BewohnerInnen – die waren ja einstweilen unbekannt und unbenennbar –, vielmehr staatlich beauftragte RollenspielerInnen: Sie nahmen in Planungsgremien nach bestem Wissen und Gewissen die zu vermutenden Interessen der noch unbekannten zukünftigen ZuzügerInnen wahr und sollten sie in den Planungsprozess einbringen. Solche Anliegen waren zum Beispiel, dass eine ordentliche Siedlungsausrüstung vorgesehen werde, mit Einkaufs-, Restaurations-, Entspannungsmöglichkeiten, mit Kindergärten, Schulen, mit Postamt und Gemeindezentrum, dass weiter ein lebensfreundliches Wohn- und Arbeitsumfeld mit Frei- und Erholungsräumen entstehe und dass nicht zuletzt eine funktionsfähige Erschliessung geschaffen werde.

Die «Anwaltsplanung» konnte einige Erfolge feiern (zum Beispiel in Los Angeles), hat sich in vielen Fällen aber in unendlichen Diskussionen verheddert. Die Schwäche war, dass die «AnwältInnen» über keinerlei rechtliche oder finanzielle Durchsetzungsmittel verfügten, so dass die Promotoren schliesslich die Konzepte realisierten, die sich für sie am besten rechneten. Die Lehre daraus war: Die Anliegen der «Künftigen» müssen die staatlichen Planungsinstanzen selbst wahrnehmen, was allerdings ihre Unabhängigkeit, politische Neutralität und obendrein Erfahrungswissen voraussetzt.

Im Fokus haben wir nun in diesem Bericht ein Gebiet in der Stadt Zürich, in dem in den kommenden zehn Jahren eine «neue Stadt» entstehen wird: Das Gebiet beidseits der Pfingstweidstrasse zwischen Hardbrücke und Aargauer-/ Bernerstrasse in Zürich-West. Dieses Gebiet wird 2015 rund 5'000 Einwohner aufweisen (siebenmal mehr als heute) und rund 14'000 Dienstleistungsarbeitsplätze (dreimal mehr als heute). Diese Prognosen sind ein Ergebnis dieser im Auftrag der HAMASIL-Stiftung entstandenen Studie, und sie sind, wie vom Büro Wüest & Partner nicht anders zu erwarten, mit Umsicht und Vorsicht erarbeitet.

Was aus dem Befund zu folgern ist, deutet die Studie wiederum mit der für Wüest & Partner gewohnten Nüchternheit an. Bereits 2015 werden im Quartier «Pfingstweidstrasse» rund 20'000 Menschen leben, arbeiten, lehren und lernen. Dazu kommen dannzumal die vielen Tausend Besucherinnen und Besucher des geplanten neuen Stadions und dessen Shoppingcenters in der «Mantelnutzung».

Und wer sorgt nun für die Versorgung dieser Menschen? Eben für Schulen, Postamt, Gemeindezentrum, Erholungsräume, bequemen Zugang usw.? Wer plant für diese Noch-Abwesenden? Das Amt für Städtebau der Stadt Zürich mit seiner «Entwicklungsplanung Zürich-West», die so prächtige Karten und Tabellen herstellt und nachführt?
Wer denkt an Etablierung und Durchsetzung von Massnahmen für die künftige Wohn- und Arbeitsbevölkerung?
Einstweilen und aktuellerweise ist nur eine Massnahme ausführungs- und entscheidungsreif durchgeplant, eine, die jede weitere Entwicklungsplanung fatal einengen, wenn nicht verunmöglichen würde: Nämlich der Bau einer neuen Tramlinie vom Escher-Wyss-Platz durch die Pfingstweidstrasse zum Bahnhof Altstetten, einer Linie, von der als zweifelhaft angesehen werden muss, ob sie den Erschliessungsbedürfnissen des künftigen Quartiers dient. Und im Huckepack führt das Tramprojekt den Ausbau der Pfingstweidstrasse zu einem Autobahnzubringer mit, der noch mehr Durchgangsverkehr als heute ins Quartier bringt, als Teilstück SN1.4.1 jener Stadtautobahn, die vor 50 (ja, es sind fünfzig) Jahren erfunden und mit dem Namen «Y» eine unrühmliche Berühmtheit als Stadtbedrohung erlangt hat.
Auf dezente Weise zeigt dieser Bericht auf, vor welcher Situation das Quartier steht: Es wird eine neue kleine Stadt aufgebaut, in der gewohnt, kommuniziert, beraten, gelernt, flaniert wird bzw. werden soll – und gleichzeitig und vorweg wird die Durchschneidung dieser Stadt mit einer Autobahn inszeniert, ihre Überflutung mit Lastwagen- und Privatverkehr, ihre Verschmutzung und Verlärmung, ihre Zerstörung.


Rudolf Schilling

Publizist, Zürich

QUARTIER«PFINGSTWEIDSTRASSE» ZÜRICH-WEST

31.01.07

Hamasil Stiftung



ENTWICKLUNGSPERSPEKTIVEN QUARTIER«PFINGSTWEIDSTRASSE» 
ZÜRICH-WEST

Februar 2007 (21166)

Wüest & Partner AG



21166 Entwicklungsperspektiven Pfingstweidstrasse.pdf